Blog Post

The Streamers

  • von Christopher Büchele
  • 11 Juni, 2019

Wie Streamingriesen die Zukunft der großen Festivals (und der Filmkunst) sichern

Nicht weniger als die Zukunft des Kinos werde verhandelt, wenn es um die Auseinandersetzung der großen Filmfestivals – und hier insbesondere des Cannes Film Festivals – und Streamingriesen wie Netflix geht. So sieht es zumindest die Financial Times.  Weshalb insbesondere das traditionsreiche Festival an der französischen Riviera wie ein bockiges Kind an einer No-Netflix-Politik für seinen Wettbewerb festhält. Die ja auch umgekehrt (von seltenen Ausnahmen abgesehen) zutreffende No-Cinema-Politik des Streamingriesen wird hier gerne als Hauptgrund angeführt, ein Einwand, den jeder verstehen kann, der Alfonso Cuarons „Roma“ lediglich auf dem heimischen Bildschirm zu Gesicht bekommen hat. Dass solche Maßnahmen trotzdem reine Augenwischerei sind, davon zeugt die Tatsache, dass insbesondere Netflix und Amazon als große Player längst nicht mehr von den internationalen Filmmärkten wegzudenken sind. Und die sind am Ende des Tages deren raison d’être, das finanzielle Grundrauschen, ohne welches das glamouröse Drumherum gar nicht denkbar wäre.

Man kann es also doof finden, dass man in Frankreich nicht in der Lage ist, eine Ausnahmeregelung für die Kinoauswertung von Netflix-Produktionen zu finden, die – einmal im Kino gelaufen – erst nach drei Jahren (!!) vom Streamingdienst zumindest in Frankreich ins Programm genommen werden dürfen. Oder man kann auf Netflix schimpfen, weil hier der Film als Handelsware möglichst schnell in den globalen Kreislauf gebracht werden soll. Aber dann vermischt man die Frage danach, wo Kunst stattfinden kann und muss mit jener nach der potenziellen Reichweite großer Filmkunst. Und es ist wohl unbestreitbar, dass eine globale Auswertung auch noch so kleiner und kunstvoller Produktionen über ein weltweites Streamingnetzwerk potenziell und faktisch ein Vielfaches des Publikums erreichen dürfte, das sich sonst – wenn überhaupt – in die kleinen Programmkinos traut.

Und überhaupt: Wie will ein Filmfestival von Cannes denn vorgehen, wenn seine großen Weltpremieren und Preisgewinner während des Festivalbetriebs dann doch von Netflix (oder eben Amazon) gekauft und zur weltweiten Auswertung vorbereitet werden? Wie aktuell eben „Atlantiques“, der zu Recht den Grand Prix gewonnen hat oder die animierte „Semaine de la Critique“-Sensation „I Lost My Body“, die mit Ausnahme weniger Märkte (u. a. Frankreich) nun auf Netflix zu sehen sein werden. Die Preise rückwirkend wieder aberkennen? Netflix und Amazon künftig auch den Zugang zu den Filmmärkten verwehren und so die gesamte Finanzierungsgrundlage der Festivals in Frage stellen? Weiterhin dabei zusehen, wie sich die Festival-Konkurrenz die Sensationen sichert, deren Finanzierung derzeit anscheinend nur die großen Streamingdienste gewährleisten können? Zukunftsfähige Planung sieht anders aus.

Zumal man sich – mit Ausnahme derer, die in Sachen Filmfinanzierung ohnehin Narrenfreiheit genießen – gegen einen Großteil der Filmschaffenden selbst stellen dürfte, die unter dem Banner von Netflix, Amazon und künftig auch Apple eine künstlerische Freiheit (und meist auch ein Budget) genießen, die große und kleine Studios in dieser Form nie zu gewähren bereit sind. Und das gilt nur für die selbst produzierten Originals. Hinzu kommen ja noch die Millionenbeträge, mit denen man in Bausch und Bogen die für oft kleines Geld entstandenen Buzztitel aufkauft und in den eigenen Verwertungskreislauf einspeist. Gerade für die Produzenten von Independent- und Genrefilmen ein Segen, der es sehr viel wahrscheinlicher erscheinen lässt, dass sich die eingegangenen Risiken möglicherweise (über einen kleinen Festival-Circuit hinaus) bezahlt machen.

Wobei ein Kern-Problem nicht verschwiegen werden soll: Das der mangelnden (bzw. oft komplett ausbleibenden) Kommunikation nach außen. Während der Launch eines neuen seriellen Exklusivtitels oft mit weltweit koordinierten Kampagnen weiter gepusht wird, landen die eingangs erwähnten Film- und Festivalperlen oft unter Ausschluss der Öffentlichkeit auf dem algorhithmischen Abstellgleis. Weltweit gesehen garantiert das zwar immer noch für ein Vielfaches dessen, was an Publikum ins Kino geströmt wäre, aber gemessen an den verpassten Möglichkeiten für manche dieser Filmhighlights ist das einfach zu wenig. Insofern darf man sich nicht weiter wundern, wenn man – in Abgrenzung des Kinos – immer noch zum TV-Riesen kleingeredet wird, der mit Leinwand nix am Hut und deswegen mit Filmkunst nichts zu tun hat. Sobald man bei den Streamingdiensten erkannt hat, dass man mit dem filmischen Pfund, das man erworben hat, ebenso hausieren gehen kann, wie mit der neuen Staffel des nächsten Serienhits, dürfte auch der vermeintliche Krieg ums Kino kein Krieg mehr sein. Genauso wenig, wie die Digitalisierung der Musik zu ihrem Tod geführt hat (allenfalls zu größerer Unübersichtlichkeit), wird die Digitalisierung großer Filmkunst deren Ende einläuten. Ein Meisterwerk ist ein Meisterwerk ist ein Meisterwerk – auch wenn die Leinwand der Zukunft möglicherweise immer öfter Zuhause steht.

7 Hidden Gems auf Netflix

DER JUNGE, DER DEN WIND EINFING

(The Boy Who Harnessed The Wind)

Nur wenige Tage nach der Weltpremiere in Sundance bzw. der Europapremiere auf der Berlinale fand dieses britische Drama von Chiwetel Ejiofor seinen Weg zu Netflix. Basierend auf einer wahren Geschichte erzählt der Film von einem jungen Afrikaner, der einer drohenden Dürre mit dem Bau einer Windmühle zur Bewässerung begegnet.

ICARUS

Russisches Staatsdoping im Radsport steht im Mittelpunkt dieser fast wie ein Thriller funktionierenden Dokumentation, die nach ihrem Erscheinen 2017 den Oscar als bester Dokumentarfilm 2018 gewinnen konnte.

DIVINES

2016 gab es in Cannes die Camera D’Or, ein Jahr später etliche Césars für dieses packende Crime- und Sozialdrama um die Schicksale zweier Teenager in den Pariser Banlieus. Zusammen mi „La Haine“ und jüngst „Les Miserables“ einer der Meilensteine zum Thema.

FREMD IN DER WELT

(I Don’t Feel At Home In This World Anymore)

Melanie Linskey und Elijah Wood glänzen in diesem Sundance-Buzztitel der Saison 2017 und machen als eine Art skurrile Nachbarschaftswehr Jagd auf gefährliche Gewalttäter. Eine Perle des Indiekinos, die – zumal unter ihrem deutschen Titel – wohl niemand auf Netflix findet, der nicht aktiv danach sucht.

PRIVATE LIFE

Nur ein halbes Jahr nach seiner Premiere in Sundance landete diese von der Kritik gefeierte Tragikomödie um ein Paar mit erfolglosem Kinderwunsch auf Netflix. Inszeniert von Tamara Jenkins, wurden sowohl Paul Giamatti als auf Kathryn Hahn immer wieder auch für die Oscars in Gespräch gebracht.

LAND DER GEWOHNHEIT

(The Land Of Shady Habits)

Tonal dem „Private Life“ nicht unähnlich, folgt der Film von Nicole Holofcener Ben Mendelssohn durch die Höhen und Tiefen einer Midlife-Crisis, in deren Kontext er auch das Verhältnis zu seinem entfremdeten Sohn noch einmal neu bewerten muss. Premiere 2018 in Toronto, auf Netflix wenige Wochen später.

THE WORLD IS YOURS

(Le monde est a toi)

Vincent Cassell und Isabelle Adjani spielen die Hauptrollen im kriminellen Crowdpleaser von Romain Gavras, die Musik stammt von Elektronik-Whiz SebastiAn und Jamie XX. Die durchgeknallte Thriller-Groteske lief 2018 in der Director’s Fortnight von Cannes und landete trotz begeisterter Reaktionen ohne Umwege (oder Bewerbung) auf Netflix.

von Christopher Büchele 13. März 2019

Hexen haben wieder Hochkonjunktur auf den schnell abbrennenden Scheiterhaufen der Popkultur. Letztlich sind sie ja nichts anderes als die weiblichen Gegenstücke zu romantisch verklärten Zauberjünglingen der Marke „Harry Potter“. Nur eben etwas furchterregender – zumindest für das männliche Geschlecht. Weil von ihnen eine Macht ausgeht, die wie eine Verstärkung all dessen wirkt, was Frauen ohnehin an Wirkung auf ihre nur vermeintlich stärkeren Gegenüber haben. Oder haben Sie eine Erklärung dafür, dass an einem Remake von „Charmed“ gebastelt und auch „Sabrina – The Teenage Witch“ wieder aus den verstaubten Aktenschränken der Seriengeschichte geholt wurde, während die „American Horror Story“ gleich eine ganze Staffel dem „Coven“ widmete? Dafür, dass einer der furchterregendsten Horrorfilme der letzten Jahre – „The Witch“ von Robert Eggers – den Blairwitch-Mythos wie ein Kindermärchen wirken ließ oder „Hereditary“ mit derlei Motiven spielte, diesen Sommer fortgesetzt in „Midsommar“, das heidnische Rituale zum Inhalt zu haben scheint? Von Luca Guadagninos Argento-Remake „Suspiria“ und einer imposanten Tilda Swinton in gleich mehreren Rollen (sogar - welch ein Übergriff - als Mann!) ganz zu schweigen?

 Kommt es von Ungefähr, dass die Popkultur den fröhlichen Hexensabbat feiert? Oder ist er als Reaktion auf verschwörerische weibliche Umtriebe zu sehen, die nicht weniger als die Umkehrung der Verhältnisse im Kulturbetrieb – kurz: Gleichberechtigung – zum Inhalt haben? Während im Kontext einer unbedingt führenswerten #metoo-Debatte also den Männern zu Recht der Kopf ver- und manchmal sogar der Hals umgedreht wird, reagiert der Film- und Serienbetrieb, in dem sich derlei abspielt, mit der Reaktivierung des Weiblichen in der Zauberei und Fantasterei. Wobei der ganze Vorgang, so schlau sind die Herren der kulturellen Wertschöpfung dann auch nicht, wohl eher unbewusst abläuft. Oder von Frauen umarmt wird, die im Bild der Hexe weibliche Stärke und Traditionen erkennen, mit denen die Männerwelt gemeinhin nur wenig anfangen kann.

von Christopher Büchele 6. März 2019
Bernd „Bert“ Trautmann steht für eine außergewöhnliche Fußballer-Karriere, die außerhalb von Großbritannien - insbesondere in seiner deutschen Heimat - kaum einer kennt. Weil er hierzulande keinen Fußball gespielt, sondern als Soldat im Zweiten Weltkrieg gedient hat. Freiwillig und ausgezeichnet mit u. a. dem Eisernen Kreuz. So einer hat eigentlich nicht das Zeug zum deutschen Fußballidol. Und erst recht nicht zum englischen. Aber das macht die Geschichte von „Trautmann“, die Marcus H. Rosenmüller („Wer früher stirbt, ist länger tot“) jetzt verfilmt hat, ja auch so außergewöhnlich. Weil dieser Trautmann als einer der wenigen Überlebenden einer alliierten Offensive in englische Kriegsgefangenschaft geraten ist und dort - wenig überraschend - als Nazi und „Kraut“ zu Latrinendienst und ähnlich entwürdigenden Tätigkeiten verdonnert wurde. Ende und aus? Von wegen! Denn der Aufenthalt in der Kriegsgefangenschaft wurde für den Deutschen zum unerwarteten Startpunkt für eine Ausnahmekarriere. Dieser Trautmann konnte nämlich wirklich kicken. Oder „keepen", sprich: Das Tor sauber halten. Und das hat man in England ziemlich schnell erkannt. Nun ist es natürlich kein ganz einfacher Weg vom talentierten Torwart mit Nazivergangenheit zum nationalen Fußballheiligtum. Und Rosenmüller (und mit ihm seine ausgezeichnete Besetzung um David Kross und die junge Schottin Freya Mavor) gibt sich trotz aller Romantisierung reichlich Mühe, auf diesem Weg wenig auszusparen: Sowohl von Trautmann zumindest zugelassene Kriegsgräuel als auch ans Rassistische grenzende Massendemonstrationen gegen den bald schon für Manchester City spielenden Ex-Kriegsgegner haben hier Platz und tragen zur außergewöhnlichen Botschaft des Films bei - Der verbindenden Kraft von Fußball im Allgemeinen und der zögerlichen Annäherung von Briten und Deutschen nach dem Krieg im Besonderen. Denn im Verlauf seiner Karriere brachte es Trautmann, der ein legendäres Pokalfinale sogar mit Genickbruch (!!) zu Ende spielte, sogar zu Englands Fußballer des Jahres und schließlich sogar zum Symbol der Aussöhnung. So weit zum unterhaltsamen, lehrreichen und erstaunlich sensibel mit seinem Material umgehenden Film. 
von Christopher Büchele 22. Februar 2019
Seit rund 40 Jahren schreibe ich. Angefangen mit dem, was die Grundschullehrerin vorgegeben hat über die ersten zur Aufführung gebrachte Theaterstücke mit acht Jahren (fragen Sie nicht!) bis hin zu dem, was einem studentischer und journalistischer Werdegang in den vergangenen rund 30 Jahren vorgegeben hat. Und „Vorgabe“ ist das richtige Stichwort. Im Regelfall handelt(e) es sich dabei um Pflicht- oder Auftragsarbeiten. Zunächst dutzende wissenschaftlicher Texte, dann noch mehr Interviews und schließlich Rezensionen und ausführliche Features zu allen Bereichen des multimedialen Lebens - ich könnte mittlerweile etliche Bücher mit meinen Texten füllen. Als „menschliche Schreibmaschine“ halte ich mich dabei an Ziel- und Zeilenvorgaben, an Zielgruppenerwartung und an journalistische Standards. Und meistens sogar an meine eigene Meinung - auch wenn diese sich zuweilen nur zwischen den Zeilen herauslesen lässt. Was ich nicht getan habe - teils in Ermangelung von Zeit, teils wegen eines fehlenden Forums - ist es, für mich zu schreiben. Oder als ich - für andere. Neben der beruflichen Textschöpfung soll an dieser Stelle deshalb jeglicher Filter fallen. „The Human Typewriter“ schreibt über das, was ihm im beruflichen Alltag an Skandälchen und Petitessen begegnet genauso, wie über seine jüngste Serienentdeckung, den nächsten großen ausgebliebenen Hype, über das, was er gekocht und vielleicht sogar woanders gegessen hat und ganz vielleicht äußert er sich sogar zu Politik und Gesellschaft. Kann ihm ja niemand reinreden hier außer er selbst. Und außerdem werden auch immer wieder von uns publizierte Texte hier noch einmal zur Veröffentlichung kommen. Wenn am Ende dabei ein Bild dessen entsteht, was den ideellen und persönlichen Rahmen für meine (und unsere) Tätigkeit abgibt: Gut! Wenn nicht, dann kann ich das auch nicht ändern. Aber schließlich mache ich das hier in erster Linie für mich, in zweiter für Sie und in dritter ganz sicher nicht, um zum popkulturellen Influenzer aufzusteigen. Wobei: Angebote für das nächste kostenfreie Essen und den übernächsten Familienurlaub nehme ich gerne entgegen...   
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